Die Sonne scheint noch warm vom Himmel in den letzten späten Sommertagen.

Ganz langsam streifen sich schon die ersten Blätter an den Bäumen ein goldenes Kleid über.

Eine kleine zarte Frau sitzt auf der Bank vor der Haustür vom Altenheim. Eine graue Strickjacke hängt lose um ihre schmalen Schultern. Die Jacke mag wohl beinahe so viele Jahre hinter sich haben, wie die Alte selbst. Doch auch wenn die Jahre viele waren und auch schwere Stunden für die Alte bereithielten, sie hat nichts verloren von ihrer Würde. Eine innere Ruhe und Sanftheit umgibt sie.

Herbstsinfonie

Das Kommen und Gehen der Besucher nimmt sie kaum mehr wahr. Der Besuch ist ja doch nicht für sie. Lang ist es schon her, daß sie das letzte Mal Besuch bekam. Der einzige Sohn lebt in Australien.
So sitzt sie jeden Tag, den der Herrgott ihr noch schenkt, in der noch wärmenden Sonne auf der kleinen Bank vor der Tür.
Ihre welken Finger hat sie manchmal wie zum Gebet ineinander verschränkt. Manchmal murmelt sie ein paar unverständliche Worte vor sich hin. Dann verstummt sie wieder. Es ist, als lausche sie einer Antwort, die von weit her zu kommen scheint. Vielleicht spricht sie ja auch mit den Amseln und Buchfinken im Garten. Oder der Wind in den Bäumen erzählt ihr eine Geschichte. Wer weiß das schon.

Ab und zu kommt eine Pflegerin vorbei, streicht ihr kurz über den Rücken, schenkt ihr ein freundliches Lächeln und geht dann wieder.Dann glänzen die matten Augen der Alten für einen kurzen Moment.

Der Herbst senkt sich tiefer in das Land. Die Tage werden nun kürzer und die Kraft der Sonne wird schwächer und schwächer.
Auch die letzten Kräfte der Alten schwinden mit der Wärme der Sonne. Braune Laubblätter taumeln leise vor ihre Füße, der Gesang in den Bäumen verstummt. Auch die Vögel unterhalten sich nicht mehr mit ihr.

Als dann die ersten Stürme über den Vorplatz des Hauses ziehen, ist die weiße Bank leer.
Bald fallen die ersten Schneeflocken auf die Bank. Dann sieht man sie kaum noch. Sie versinkt unter einer dicken, kalten Hülle.

Doch es wird auch wieder Frühling und Sommer und Herbst ...

Die weiße Bank wird dann leer sein.

Aber vielleicht erzählen im nächsten Jahr die Buchfinken und Amseln und die Blätter der mächtigen Eiche vor der Bank einem anderen von der kleinen Alten, die ihre Sprache verstand und ihrer Musik lauschte.

 Monika A.E. Klemmstein

Klemmys Schreibstube